Aramea “Q”: Das neue Quarterly für Q3 2022
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
Wir Menschen neigen dazu, Schemata und Gesetzmäßigkeiten, die wir verinnerlicht und an die wir uns gewohnt haben, in die Zukunft fortzuschreiben. Davon nehme ich mich selbst explizit nicht aus. Oft nur sehr langsam und manchmal gar zu spät erkennen wir an, dass sich Dinge fundamental geändert haben und wiederum eine Anpassung des eigenen Verhaltens notwendig machen. So aktuell zu beobachten in diesen sehr bewegten Zeiten an den Finanzmärkten.
Wir erleben gerade nicht weniger als einen weitreichenden Paradigmenwechsel an den Finanzmärkten. Die disinflationäre Ära, die Ben Bernanke auf „Great Moderation“ getauft hat, ist genauso Geschichte wie jene Phase, in der die Zentralbanken der Wirtschaft und somit auch dem Markt jederzeit zur Hilfe geeilt sind, wenn es brenzlig wurde. Das neue Regime an den Finanzmärkten ist vielmehr geprägt von hartnäckig höherer Inflation sowie gleichzeitig der stärksten geldpolitischen Vollbremsung seit sehr langer Zeit. Viele Anleger wollten es bis zuletzt nicht wahrhaben, dass es sich bei der Inflation tatsächlich um mehr als nur ein temporäres Phänomen und bei der geldpolitischen Wende um ein alternativloses Einbremsen der volkswirtschaftlichen Nachfrage handelt, um wiederum ein Davongaloppieren der Inflationserwartungen in den kommenden Jahren zu verhindern.
Für uns Anleger fühlt sich dieses neue Marktregime deutlich weniger kuschelig an als das, was wir aus den Jahren nach der Finanzkrise und zuletzt auch noch im Nachgang an die Coronakrise gewohnt waren. Wir brauchen ohne Frage ein neues „Strategiehandbuch“ fürs Investieren, in dem Aktien auf einmal nicht mehr ohne und ausgewählte Anleihen durchaus wieder eine valide Alternative sind.
Die kommenden Monate an den Märkten dürften durchaus herausfordernd bleiben. Wer auf ein baldiges Comeback von Risikoaktiva setzt, sollte vor allem auf eines hoffen: Dass es den Notenbanken durch eine Verschärfung der „Financial Conditions“ rasch gelingt, die Nachfrage und damit die Inflation herunterzubringen. Optimalerweise fällt dabei die wohl kaum noch zu vermeidende Rezession in den USA und der Eurozone nicht allzu tief aus. Im Falle Europas muss ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland hierfür unbedingt ausbleiben. Sobald die Inflationszahlen wieder fallen, dürfte ein Ende der geldpolitischen Straffung zumindest absehbar sein – und somit auch ein Ende des Ausverkaufs an Aktien- und Rentenmärkten. Was danach folgt ist offen. Einiges spricht jedoch dafür, dass ohne die Unterstützung der Notenbanken zukünftige Aufwärtstrends weniger dynamisch ausfallen werden als zuvor.
Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihr
Felix Herrmann, CFA
Chefvolkswirt Aramea Asset Management AG